Gedenken an unsere ermordeten Genoss*innen von Utøya

 

Gestern trauerten wir gemeinsam mit Mitgliedern der Jusos Nürnberg, sowie Mitgliedern der SDAJ Nürnberg und der SPD Nürnberg um unsere 69 Freunde* und Freundinnen*, Genossen* und Genossinnen*, die vor 10 Jahren auf Utøya ermordet wurden. Vielen Dank an die Jusos Nürnberg für Anmeldung und Moderation. Danke an Rüdiger Löster für die Fotos. Hier könnt ihr den Redebeitrag von unserer Genossin Tabea nachlesen:

 

Liebe Freundinnen* und Freunde*, liebe Genossinnen* und Genossen,

wir trauern heute um unsere 69 ermordeten Genossinnen* und Genossen, die der rechtsextreme Mörder Anders Breivik heute vor 10 Jahren hingerichtet hat.

Es fällt schwer, als Falkin über das zu sprechen, was vor 10 Jahren geschehen ist, da klar ist: das Massaker auf Utoya galt unserer sozialistischen Arbeiter*innen- und Arbeiter*innenjugendbewegung. Es hätte auch uns treffen können. Oder besser gesagt: es hat uns getroffen. Wenn wir heute die Berichte der Überlebenden lesen, fühlen wir uns in unsere Falken-Zeltlager versetzt. Es wird von Zeltlagererfahrungen berichtet, die die unseren sein könnten. Ich möchte euch kurz einige wenige Auszüge aus einem Bericht und Interview der Berliner Stimme mit der Genossin Janin vorlesen.

Janin kommt 2010 das erste Mal mit auf ein Zeltlager der AUF, einer norwegischen Schwesterorganisation der Falken. Ihre Freundin Elisabeth hat sie eingeladen. Sie sagt, sie wäre „hauptsächlich nicht wegen den politischen Diskussionen da, sondern einfach, weil wir zusammen gegrillt, Stockbrot gebacken und Karaoke- sowie Filmabende gemacht haben. Ich fand diese Gemeinschaft einfach toll.“

Über ihre Freundin Elisabeth, die eine unserer 69 ermordeten Freundinnen* und Freunde* ist, sagt Janin: „Elisabeth war ein Mensch, der sich immer um andere gekümmert hatte und jederzeit ein offenes Ohr hatte. Sie stellte stets sicher, dass es ihren Freunden und ihrer Familie gut ging. Ihre eigenen Bedürfnisse stellte sie dann meistens hinten an. Durch ihre Lebensfreude und ihre positive Art konnte man nur gute Laune bekommen.

Der 22. Juli 2011 ist für Janin und Elisabeth der letzte Tag auf der Insel – am nächsten Tag steht die Heimreise an. Die Tage zuvor seien laut Janin sehr warm gewesen. Die Sonne schien die ganze Zeit. Überhaupt sei der Sommer in Norwegen im Jahr 2011 sehr heiß gewesen, teilweise bis zu 30 Grad Celsius. An diesem Freitag jedoch regnet es. Janin beschreibt es im Gespräch als Vorahnung, als ein Vorbote, dass irgendwas passieren wird.

Es ist kurz vor 17 Uhr als der Attentäter an der Anlegestelle der Fähre mit einem weißen Lieferwagen vorfährt. 600 Meter trennen Utøya vom Festland. Mit der Fähre gelangt er wenig später auf die Insel. Da er sich als Polizist ausgibt und auch als solcher verkleidet ist, nimmt ihn der Fährmann mit. Auf Utøya angelangt geht er von Bord.

Janin, Elisabeth und ihre gemeinsame Freundin, Lejla, sehen wie Anders Breivik auf die Insel kommt. Leyjla wird eines seiner ersten Todesopfer sein.

Elisabeth und Janin befinden sich mit vielen anderen in einer kleinen Halle, in die der Mörder eintritt. Elisabeth und viele weitere werden dort von seinen Kugeln getroffen. Elisabeth stirbt dort.

Janin wird von einer Freundin aus der Halle gezogen und flüchtet über den Zeltlplatz auf einen kleinen Weg. Der „Kjærlighetsstien“, zu deutsch: Liebespfad, verläuft 180 Meter hinter der Cafeteria direkt an der Steilküste entlang.

Janin wird dort getroffen. Sie erzählt: „Der Weg ist ein ganz enger verschlungener Pfad und durch einen Zaun gesichert, damit man nicht abstürzt. Ich lag an dieser Stelle und wusste, ich kann mich nicht bewegen, weder aufstehen noch weiterlaufen – es geht einfach nicht mehr. Leute sind an mir vorbeigerannt und haben mich liegen lassen. Das habe ich ihnen auch nicht übelgenommen, weil ich in diesem Moment dachte: Jeder denkt an sich, jeder muss sich irgendwie selbst retten. Im Nachhinein frage ich mich: Warum habe ich so egoistisch gedacht? Man ist doch quasi eine Gemeinschaft. Freunde von mir haben ja auch Verletzten geholfen.“

Ein Mädchen – 17 Jahre alt – bleibt schließlich stehen. Sie sieht Janin auf dem Pfad liegen und fragt, ob sie Hilfe braucht. Janin möchte nur, dass das Mädchen sie liegen lässt, weiterläuft und ein Versteck sucht. Die 17-Jährige antwortet nur: “Nein, du musst da nicht allein durch. Ich helfe dir.“

Das Massaker an unseren Genossinnen und Genossen auf Utoya war ein antikommunistisches Massaker. Anders Breivik hat nicht zufällig ein Zeltlager unserer norwegischen Schwesterorganisation zum Ziel seines Anschlages gemacht. Breivik sah und sieht sich wie andere Faschisten im Kampf gegen den von ihnen sogenannten Kulturmarxismus. Dem Antikommunismus ist dabei egal, ob seine Opfer tatsächlich Kommunistinnen* oder Kommunisten* sind oder nicht und so trifft er nicht nur die kommunistische, sondern auch die sozialdemokratische Bewegung.

Der wahnhaft-ideologische Antikommunist Breivik sah sich bei seinem Massenmord an unseren jugendlichen Genoss*innen selbst als Kommandanten einer norwegischen antikommunistischen Widerstandsbewegung.

In der wahnhaft-ideologischen Vorstellung des rassistischen Antikommunisten Breivik seien wir Marxist*innen verantwortlich für eine angebliche Islamisierung Europas, weil wir Internationalist*innen sind. Er und seine faschistischen und konservativen Kameraden verachten uns für unsere internationale Solidarität, die sich in Wirklichkeit selbstverständlich auch gegen ihre heimlichen Brüder im Geiste, die Islamisten, richtet.

In der wahnhaft-ideologischen Vorstellung des frauenhassenden Antikommunisten Breivik seien wir Marxist*innen verantwortlich für den nahenden Zusammenbruch der europäischen Zivilisation, die davon abhinge, wie „standhaft europäische Männer gegen politisch korrekten Feminismus widerstehen“. Er und seine faschistischen und konservativen Kameraden verachten uns für unseren Feminismus und unseren Kampf gegen den patriarchalen Zustand dieser Gesellschaft.

Zum Antikommunismus, Rassismus und Antifeminismus des Mörders gesellen sich Antisemitismus, Marktliberalismus und christlicher Traditionalismus. Er verstand sich als ein Kämpfer einer „konservativen Revolution“, die im Übrigen der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt noch 2018 einforderte. Die Schnittstellen zwischen Konservativen und Faschisten sind eindeutig. Ihre Ziele verbergen sie kaum. Und sie sind keineswegs Einzeltäter. Sie sind gut vernetzt, online, wie offline. Sie horten ihre Waffen aus Bundeswehrbeständen und organisieren sich in Polizeieinheiten. Sie kaufen Leichensäcke und legen Feindeslisten an. Sie sind bereit, zu morden.

Wir Falken freuen uns, dass wir heute mit unseren sozialdemokratischen Genoss*innen der Jusos hier stehen dürfen. Denn wir denken, dass eine antifaschistische Einheitsfront von Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen eine absolute Notwendigkeit im Kampf gegen die rechte Bedrohung darstellt. Das verlangt beiden Seiten einiges ab. Das Vordringen von Extremismus-Ideologie und Hufeisentheorie in weite Teile der SPD, insbesondere die Führung, müssen unsere sozialdemokratischen Genoss*innen entschieden bekämpfen. Und wir Kommunist*innen dürfen weder in antisozialdemokratischem Gebahren, noch in trotzigem Gehabe erstarren, sondern müssen neues Vertrauen schenken und uns in Offenheit zeigen. Insbesondere zur Parteibasis, die in der Regel links von ihrer Führung steht, gilt es Brücken aufrechtzuerhalten oder aufzubauen. Wir sind uns sicher, dass uns genau das in der Zusammenarbeit mit unseren Genoss*innen und Freund*innen von den Jusos gelingen wird.

Wir gedenken heute gemeinsam den Menschen, die der Faschist Anders Breivik ihren Freund*innen, ihren Familien und unserer gemeinsamen Bewegung genommen hat. Gedenken heißt für die Arbeiter*innenjugendbewegung stets auch Kampf, denn – wie Rosa Luxemburg sagte – „das Heulen ist Geschäft der Schwäche.“

Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht erschüttert, traurig, ergriffen, verzweifelt sein dürfen, denn – wie Rosa auch sagte – „fühlen wir uns in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken und Vögel und Menschentränen gibt.“